Das ärgerliche am Ärger ist, dass man sich schadet, ohne anderen zu nützen.
Kurt Tucholsky
Quo vadis Denkmalpflege?
Denkmale sind der Materialienvergänglichkeit ergeben, und entsprechend der gesellschaftlichen Verpflichtung sind Maßnahmen für deren Erhalt unabdingbar.
Denkmalpflege ist und bleibt eine gesellschaftliche Verpflichtung, die im ganzen und im einzelnen Bestandteil der kulturellen Identität einer Region ist und vor allem zu deren Erhalt beiträgt.
Wie alle Dinge, deren langfristige Erhaltung von Interesse ist, bedürfen also auch Denkmale einer kontinuierlichen Wartung. Wohlgemerkt zielt die Denkmalpflege, respektive die PFLEGE DER DENKMALE, auf den Substanzerhalt. Folglich entsprechen Pflege und Reparatur -als Substanzerhaltung ökonomischster Art- dem oberstes Gebot der Denkmalpflege. Allerdings setzt die Pflege einen Objektzustand voraus, der durch entsprechende Fürsorge annähernd gleich gehalten werden kann. Von diesem Zustand ist die Mehrheit der Objekte jedoch weit entfernt und von Pflegevoraussetzung kann nicht die Rede sein. Es bleibt umstritten, ob Pflegevoraussetzungen durch umfangreiche Sanierungs- und Restaurierungsmaßnahmen geschaffen werden können.
Trotz ihrer beklagenswerten Zustände verkörpern die Objekte immer noch die Ideen ihrer Erschaffer. Veränderungen, Schäden, fehlende Details oder Verschmutzungen beeinträchtigten zwar das Erscheinungsbild, grundsätzlich bleiben sie überlieferte, real existierende, schöpferische Werke, welche von handwerklichen Traditionen, Fortschritt, Entfaltung, Zeitgeist, Ehrgeiz, Beharrlichkeit und allen anderen Tugenden und Lastern ihrer Erschaffer zeugen.
Der Denkmalwert eines Objektes ist bei all dem nicht unbedingt vordergründig erschließbar. Selbst ein altes Mauerwerk, ein Fenster, ein Putz, auch eine einfache Fuge wurden von Menschenhand erschaffen. Es sind Zeitzeugen von Epochen, deren Überlieferungen auf Erinnerungen angewiesen sind. Es steht nicht die immer wiederkehrende Frage nach dem "Original", sondern die nach dem "Ursprung". Die Originalität unterliegt stetiger Veränderung. Die Ursprünglichkeit bleibt dabei, wenn überhaupt, nur noch fragmentarisch erhalten. Geht demnach die Ursprünglichkeit nach und nach verloren, wobei das Original bleibt? Eine eher philosophische Frage, zu deren Beantwortung wohl lange Debatten notwendig wären. Fest steht , dass selbst bei behutsamen Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen in die Substanz eingegriffen und die Ursprünglichkeit damit zwangsläufig beeinflusst wird.
Uneingeschränkte Akzeptanz für umsichtige und behutsame Behandlung und Respekt gegenüber seiner Authentizität genießen aber leider nur Objekte, denen ad libitum eine "hohe kulturelle Wertigkeit" zugestanden wurde. Es stellt sich demnach zwangsläufig die Frage, weshalb in der täglichen Praxis so signifikante Unterschiede gemacht werden. Gibt es denn wichtige und unwichtige Denkmale, und wer befindet darüber? Mit diesem Bewusstsein dient die Denkmalpflege geradezu gesetzmäßig dem Schutz des Überlieferten und nicht dessen Rückversetzung in einen angenommenen Urzustand auf Kosten seiner Substanz.
Prägnanter als Georg Dehio: "Denkmäler schützen heißt nicht Genuß suchen, sondern Pietät üben." kann man Denkmalpflege wohl kaum definieren.
Wie die Praxis zeigt, sind Sanierungen bei weitem nicht so beständig, wie dies dem Wunsch ihrer Initiatoren entspricht. Oft genug bricht der "Sanierungseffekt" schon nach kürzester Zeit zusammen und es bleiben kaum Reparaturmöglichkeiten. Da sich umfangreiche Instandsetzungsmaßnahmen an verschiedenen Objekten in relativ kurzen Abständen immer öfter wiederholen, sind die Ursachen hierfür zu diskutieren. Zahlreiche Sanierungsversuche, die mit uneingeschränktem Fortschrittsglauben die "endgültige Instandsetzung" anstrebten und schließlich gründlich misslangen, führen dazu, dass die Denkmalpflege in Frage gestellt wird. Es gilt, diese Entwicklung kritisch zu hinterfragen. Die Befriedigung eines Bedürfnisses nach oberflächigem Wohlgefallen darf nie das Ziel der Denkmalpflege werden und das Aufgeben alter Substanz zugunsten normenkonformer und pflegeleichter Materialien steht ihrem Anliegen sogar konträr gegenüber. Durch Beobachten, Ergründen und Verstehen der alten Substanz und ihrer Alterung müssen endlich Strategien zur nachhaltigen Existenzverlängerung entwickelt werden. Nachhaltigkeit im Sinne eines pflegeleichten und reparaturfreundlichen Objektes - und Existenzverlängerung hat dem Dokument mit allen seinen Veränderungen und Unzulänglichkeiten zu gelten. Weshalb jahrhundertealte Baumaterialien und Technologien nicht mit neuen industriellen Produkten und der DIN konkurrieren können sollen, bleibt nach wie vor unverständlich und wird zur Schizophrenie so man bedenkt, dass eben diese Materialien und Technologien neuerdings im "Ökologischen Bau" eine schwungvolle Renaissance erleben.
Auf verschiedenen Gebieten der Grundlagenforschung sind Antworten gefunden worden, welche bedeutungsvoll für technologische Entwicklungen in der Denkmalpflege sind. Zum Zustand von Denkmalen, den Zerstörungsmechanismen, der Alterung und der Konservierung/Restaurierung existiert umfangreiche Fachliteratur, die auf kunsthistorischen, technologischen, methodischen und naturwissenschaftlichen Forschungsergebnissen baut. Die daraus resultierenden Zusammenhänge sind so komplex, dass ein allumfassendes Handbuch den Denkmalpflegern wohl auch weiterhin vorenthalten bleiben muss. Diese Komplexität, aber auch die erforderliche besondere Umsicht und Tiefgründigkeit bei Untersuchungen, Dokumentationen, Konservierungen und Restaurierungen von Kunstgegenständen und Denkmalen, meist wertvoller Unikate, machen interdisziplinäre Zusammenarbeit - gemeinsame und ergänzende Arbeit von verschiedenen Spezialisten - unverzichtbar.
Seit 1964 steht mit der Charta von Venedig ein Grundsatzpapier zur Verfügung, das in unveränderter Aktualität Zielstellung und Aufgaben der Denkmalpflege festschreibt. Die Richtung ist damit längst unzweifelhaft vorgegeben. Statt dessen sind aber Konkurrenzdenken und Kompetenzgerangel die Symptome dafür, dass Denkmalpflege zu einer kommerziellen Angelegenheit verkümmert, so dass allgemeines gesellschaftliches Interesse und die Akzeptanz der Denkmalpflege schwindet. Ja, es führt inzwischen dazu, dass Denkmalpflege als staatliche Aufgabe in Frage gestellt wird. Wie aber kann der Staat seine hoheitlichen Aufgaben erfüllen, wenn er von einer Invasion selbsternannter Pseudodenkmalpfleger überwältigt wird? Diese missbrauchen unser Kulturerbe für ihre Selbstverwirklichung. Die eigentliche denkmalpflegerische Hauptaufgabe -Denkmale zu überliefern- schein in Vergessenheit geraten zu sein.
Die Sanierungen aktuellen Stils suggerieren "Wiederherstellung" und sind meist geschmäcklerische und mit nicht selten erheblichem Substanzverlust erkaufte Neuinszenierungen. Dagegen muss wirkliche Denkmalpflege allein Schadensbegrenzung im Sinne der Weitergabe unseres Erbes an nachfolgende Generationen bedeuten. Um dieses ethische und moralische Anliegen wieder ins gesellschaftliche Bewusstsein zu bringen, besteht dringender Aufklärungsbedarf.
Schließlich darf angesichts der Gründlichkeit, mit der Instandsetzungsmaßnahmen und die damit verbundene Zerstörung überkommener Substanz durchgeführt wurden und werden, die vorsichtige Frage gestellt werden, ob begrenzte Mittel tatsächlich eine seriöse und behutsame Denkmalpflege erschweren oder gar verhindern. Man mag geteilter Meinung darüber sein, ob die begrenzten Mittel gut oder schlecht für die Denkmalpflege sind. Wenn weniger Geld zur Verfügung steht, könnte vielleicht das Bewusstsein für die Notwendigkeit guter Konzepte und profunder Methodik geschärft werden.
Mit großem finanziellen Einsatz sind in den letzten Jahren viele "gründliche Instandsetzungen" erfolgt - wieviel historische Substanz dabei vernichtet worden ist, bleibt offen und lässt fragen, ob alle Maßnahmen Beifall verdienen und als Denkmalpflege gelten dürfen. An effizienter Koordinierung und methodisch ausgereiftem Vorgehen scheint in der aktuellen Denkmalpflege ein offensichtlicher Mangel zu bestehen. Wieviele Projektgelder allein wegen fehlenden Informationsaustausches verschiedener "Fachplaner" und mangels ernsten Willens zur Zusammenarbeit verschwendet wurden und werden, lässt sich kaum erahnen.
Da "Guter Rat" zudem oft teuer bezahlt werden soll, wird in der Konsequenz die interdisziplinäre Arbeit nicht selten auf ein Minimum beschränkt, wodurch für Planung und Ausführung erhebliche Qualitätseinbußen entstehen müssen.
Auch Theorie und Methodik der Denkmalpflege unterliegen entwicklungsgeschichtlichen Gesetzmäßigkeiten. Selbst das Handeln nach bestem Wissen, kann sich früher oder später als Fehler herausstellen. Zumindest sollte man sich aber immer bewusst sein, dass Entscheidungen und Ergebnisse immer abhängig sind vom Stand der Technik, gesellschaftlichen Normen, subjektiven Empfindungen etc. und aus diesem Grund korrigierbar bleiben müssen.
Ein Urteil über das Gelingen einer Restaurierung hängt allein von den Maßstäben ab, die man anzulegen bereit ist - aber passende Maßstäbe sind rar geworden!
Jens Linke, Mellingen im Dezember 2001